Mein morgendlicher Teebeutel teilte mir mit, dass ich mich im Zweifel für das Mitgefühl entscheiden soll.
In dieser Woche hatte ich so eine Situation, in der ich mich für das Mitgefühl entschied.
Ich stieg mit meinem Rad in das Fahrradabteil der S-Bahn. Dort, wo ich mein Fahrrad abstellen wollte, saß breitbeinig ein Mann. Dieser sah kurz von seinem Handy hoch, sah mich und spielte weiter auf seinem Handy rum, ohne seine Sitzhaltung zu ändern. Also schob ich mein Fahrrad vorsichtig an die dafür vorgesehene Stelle. Als der Mann mich wieder ansah, sagte ich ihm in einem ruhigen und freundlichen Ton, dass ich gern mein Rad dort abstellen wolle. Keine Ahnung, was genau dieser Satz in ihm auslöste. Er nahm diesen zum Anlass, um ungebremst lospoltern zu können und schrie mich an. Was genau, weiß ich gar nicht mehr so genau. Er bemängelte u.a. meinen Ton. Aber eigentlich ging es ihm gar nicht darum, sondern um das Schreien und um den Abbau von Frust. Da kam ich ihm total gelegen. Es hätte jeden einzelnen Treffen können – ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn dank mir und meinem Fahrrad, konnte er den über den Arbeitstag angestauten Frust laut heraus schreien. So betrachtet, hatte ich plötzlich Mitleid mit diesem Menschen. Und schon stand meine Entscheidung fest: ich entschied mich für das Mitgefühl.