Heute ist ein Familienfest und ich werde mich nicht drücken können. Mir ist keine Ausrede eingefallen und die Sache mit der Trauer zählt nicht wirklich. Den Trumpf hatte ich schon mal gespielt – er ist ausgereizt. Also werde ich heute wohl oder übel dort erscheinen.
Versteht mich nicht falsch – ich habe meine Familie sehr gern. Ich bin die Tante die angerufen wird, wenn man Rat braucht, ich mag die Schwester sehr – ist sie doch einer meiner engsten Vertrauten. Aber so ein Fest, wo alle da sind und am Tisch sitzen, ist mir einfach zu viel.
Heute ist Kindergeburtstag des Großneffen. Wäre nur meine Familie da – nur zu. Die kennen mich und mein Unwohlsein bei solchen Festivitäten. Da ist noch die andere Seite – wir sind uns nicht immer wohl gesonnen.
Als ich noch jünger war, kam es auf solchen Begebenheiten regelmäßig zu Streitereien, an denen ich nicht ganz unbeteiligt war. Immer offen und ehrlich sein war meine Devise – nur war ich nicht diplomatisch und das brachte so manche Feier zum Platzen. Mittlerweile verstehe ich die Kunst der Diplomatie und meine leichte Schwerhörigkeit ist bei Streitgesprächen von großem Vorteil.
Der Teenager kommt heute mit. Er ist die Harmonie in Person und so werde ich mich an seiner Seite zurück lehnen, lächeln und nichts Unüberlegtes sagen oder tun – vorausgesetzt, die Gegenseite fängt nicht wieder Gesprächsthemen an, bei denen alle meine Alarmglocken anfangen zu läuten.