Seit einigen Tagen sitzt mein Kollege müde am Schreibtisch. Gestern erzählte er mir, dass er morgens um 5 Uhr aufstehen müsse. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass sein Kind Schülerpraktikum mache und er ihn jeden Tag zur Arbeit fährt und wieder abholt. Nun ging ich davon aus, dass das Praktikum weit weg wäre – nein, es ist nur um die Ecke. Das Kind ist 15 Jahre alt und kann nicht alleine gehe? Auf meine scherzhafte Bemerkung, er lege dem Kind bestimmt auch noch die Anziehsachen jeden morgen hin, bekam ich die ernsthafte Antwort: „Natürlich!“
Eltern tun alles für ihre Kinder. Ich finde nur, dass sie es hier und da etwas übertreiben. Meine Kinder haben sich, seit sie sicher auf 2 Beinen stehen können, ihre Sachen aus dem Schrank gesucht und alleine angezogen. Dass es nicht immer mein Kleidergeschmack war, ist dabei völlig unerheblich. Ihre Praktikumsplätze suchten sie sich selber und sie wären lieber gelaufen, als sich von Mutti fahren zu lassen.
Ich verstehe Erziehung noch immer als Erziehung zur Selbständigkeit. Die Kinder befähigen, in die Welt zu ziehen und dafür das nötige Rüstzeug zu bekommen. Dafür bin ich da. Nicht dazu, ihnen die Sachen zum Anziehen raus zu legen, sie zu bedienen und ihnen in allen Lebenslagen den Weg frei zu räumen. Ich höre immer von Bekannten „Sie sollen es gut haben“. Ist es wirklich gut, wenn sie nicht lernen, ihren Kopf einzuschalten? Wenn sie nicht lernen, vielleicht auch mal mit Niederlagen fertig zu werden, sich durchzusetzen, sich an anderen Stellen zurück zu nehmen, sich nicht zu wichtig zu nehmen?
In Berlin ist gerade das Thema in den Medien, dass das Verkehrschaos vor den Schulen stark zugenommen hat und manche Einrichtungen ihre Schülerlotsen aus Sicherheitsgründen abgezogen haben. Es entsteht der Eindruck, dass die Eltern ihre Kinder bis in das Klassenzimmer mit dem Auto bringen wollen. In anderen Schulen gibt es am Eingang den Hinweis, dass Kinder ab hier allein den Weg bewältigen können.
Liebe Eltern – traut Euren Kindern etwas zu! Sie können und vor allem wollen das!